„Wir haben einfach irgendwann aufgehört, uns zu rasieren“

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ZZ-Top-Bassist Dusty Hill ist im Alter von 72 gestorben. Das gaben seine Band-Kollegen Frank Beard und Billy F Gibbons bekannt. Mit letzterem sprachen wir vor wenigen Monate über Musik, das Älterwerden als Rockstar und die legendären Bärte von ZZ Top

Seit mehr als 50 Jahren steht Billy F Gibbons, 71, für den Bluesrock und (mit seinem verstorbenen Bandkollegen Dusty Hill) seit rund 40 Jahren für die legendären Bärte der texanischen Band ZZ Top: so lange, dass er selbst nicht mehr weiß, wie er ohne wallendes Gesichtshaar aussähe. Das jetzt erschienene Album „Hardware“ (mit einem Foto seines Ford Hot Rod, Baujahr 1934, auf dem Cover) ist allerdings Gibbons’ Solo-Werk. Und er möchte, Oldtimer-Fan durch und durch, nicht per Videocall, sondern am Telefon darüber sprechen. Er lässt sich sogar ganz oldschool von dritter Stelle mit dem Playboy-Interviewer verbinden, nachdem dieser sich das neue Album bis zum letzten Akkord angehört hat.

Mr Gibbons, das letzte Stück auf Ihrem neuen Album heißt „Desert High“. Was soll das sein – ein „Wüstenrausch“?

Das Gefühl, dich an einem sehr ungastlichen Ort, nämlich in der Wüste, heimisch zu fühlen, obwohl die Lebensumstände dort, nun ja, außergewöhnlich sind. Ich habe den Text in der Wüste geschrieben. Wir haben die ganze Platte in der Wüste gemacht, im kalifornischen Joshua-Tree-Nationalpark. Wir kamen nur mit Bleistiften, einem Block Papier und unseren Instrumenten.

Warum dort?

Die ganze Geschichte ins Rollen gebracht hat mein Freund Matt Sorum. Matt ist Schlagzeuger, er hat früher bei Guns N’ Roses gespielt, dann bei Velvet Revolver – überhaupt: Matt ist ein ganz toller Drummer und Mensch. Er kam an, vor über einem Jahr jetzt mittlerweile, und fragte: „Billy, was hast du denn so am Laufen gerade?“ Gar nichts hatte ich am Laufen, war ja alles abgesagt wegen der Seuche. Matt meinte nur: „Ich habe für uns ein schickes Aufnahmestudio gefunden, das wird dir gefallen. Denen sind alle abgesprungen, es ist frei, wir können sofort aufbrechen. Es liegt nur ein bisschen abgelegen, im Joshua-Tree-Park.“ Ich kenne die Gegend und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass dort ein Tonstudio steht. Aber bitte, wir fuhren los und fanden in der Tat ein sehr hübsches und gut ausgestattetes Studio vor. Okay, unsere Handys funktionierten dort nicht mehr. Aber das Internet war gerade frisch installiert worden, über einen Satellitenservice. Wir schauten uns um, lachten, ich nahm meine Gitarre, und dann ging es los. Bis zu diesem Tag wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass wir dort gleich ein ganzes Album aufnehmen würden.

Wer ist „wir“? Matt und Sie?

Mit uns waren noch zwei weitere Jungs dort, der Co-Produzent Mike Fiorentino und der Toningenieur Chad Shlosser. Drei Monate blieben wir einfach da. Wo hätten wir auch großartig hinsollen? Wir waren jedenfalls froh, dass wir in so einer tollen Umgebung sein und megalauten Lärm machen konnten.

Hatten Sie genug Proviant dabei?

Nein, zum Einkaufen mussten wir ins nächste Örtchen fahren. Im Prinzip war es wie ein Survival-camp. Wir waren 30 Kilometer vom nächsten Menschen entfernt. Wir wechselten uns ab, oft fuhren wir auch alle zusammen, ein bisschen Abwechslung ist ja nicht schlecht. Man muss ja auch mal andere Leute sehen. Gott sei Dank gab es in dem Dorf auch ein Café, das leckeres mexikanisches Essen servierte und das wir gleich beim ersten Besuch ins Herz geschlossen haben.

Sie waren also top ausgerüstet.

Haha! Es stellte sich heraus, dass unsere wichtigsten Utensilien ein Ast und ein stabiler Eimer mit
Deckel waren. Wegen der Klapperschlangen. Jeden Morgen, wenn wir vor die Tür traten, mussten wir höllisch aufpassen. Jeden Tag war da mindestens eine Klapperschlange.

Hatten Sie Angst?

Nun, mit diesen Tieren treibst du besser keine Späße. Sie sind extrem nervös, unruhig und auf ihre Weise hinterlistig. Sie sind nicht direkt aggressiv, sie jagen jetzt nicht hinter dir her und wollen dir auch nicht ans Leder. Aber wenn sie dich sehen, gefällt ihnen das nicht, dann reagieren sie mit einer Mischung aus Furcht und Genervtheit.

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Billy F Gibbons hat sich während der Pandemie zurückgezogen in die Wüste – mit Klapperschlangen, Bier, seiner Gitarre, seinem Bart und einem brennenden Grill. Nur seine Frau hat er vermisst. Und seinen toten Freund Jimi Hendrix. Und uns etwas mitgebracht: ein neues Album namens „Hardware“


Sind Sie gebissen worden?

Nein, keiner von uns. Wir haben immer alle Schlangen erfolgreich eingefangen und weiter draußen in der Wüste wieder ausgesetzt.

Sie klingen wie ein sehr gelassener, entspannter Mann.

Also gelassen bin ich ohne Frage, aber jeden Tag diese Biester, das war doch etwas viel. Am Anfang waren wir alle noch neugierig und fasziniert, das ließ dann irgendwann nach. Es waren auch immer sehr kleine Klapperschlangen, muss wohl Brutzeit gewesen sein. Im Nachhinein sagte uns jemand, die Babyklapperschlangen seien überhaupt die Gefährlichsten, weil sie noch nicht wüssten, was sie mit ihrem Gift anrichten können. Wussten wir auch nicht, dass man sich vor den Babys besonders in Acht nehmen muss. Aber die älteren Tiere sind wohl gemächlicher.

Von wo aus telefonieren Sie eigentlich gerade mit mir, Billy?

Aus einer anderen Art von Wüste. Sie nennt sich Las Vegas. Giftschlangen gibt es hier auch, aber sie wollen nicht dein Blut, sie wollen nur dein Geld (lacht).

In Las Vegas wollen Sie im Oktober fünf Konzerte mit ZZ Top spielen, las ich gerade.

Exakt. Unsere ersten Shows seit Ausbruch der Seuche. Wir freuen uns wahnsinnig. Du hast sicher schon mit anderen Musikern über die Zwangspause gesprochen. Wir drehen alle so langsam durch ohne die Bühne. In guten Jahren spielen wir ja normalerweise um die 100 Konzerte.

Wie haben Sie denn die Zeit nach der Fertigstellung von „Hardware“ verbracht?

Als ich in der Wüste war, meldeten sich meine Kompagnons von ZZ Top, Dusty Hill und Frank Beard, der Mann ohne Bart.

Kennen wir.

Na ja, und sie behaupteten, dass sie an unserem neuen ZZ-Top-Album arbeiten würden. Das letzte ist ja schon fast zehn Jahre her und hieß „La Futura“. Sie bestärkten mich darin, dass ich mir in der Wüste ruhig Zeit lassen solle, und mir kam der Verdacht, dass sie nur sichergehen wollten, dass ich beschäftigt bin, damit sie sich selbst einen lauen Lenz machen konnten. Aber dann haben sie mir Musik geschickt. Wir werden uns jetzt in Texas treffen und gemeinsam im Sommer Zeit im Studio verbringen. Und dann mal schauen, wie wir vorankommen.

Ihre Reisefreude hört sich für uns hier in Deutschland, wo das Leben gerade erst wieder losgeht, ganz schön verlockend an.

Jeder Mensch kann sich mit diesem Vagabundengefühl identifizieren. Davon singe ich in „Vagabond Man“. Vagabundieren heißt, frei zu sein. Nicht zu wissen, wo es dich hintreibt. Ich liebe dieses Gefühl der Ungewissheit in der Rock-’n’-Roll-Welt. Auch wenn die längste Exkursion des Tages bei mir im Moment der Gang zum Briefkasten ist. In der Wüste stand der Briefkasten wenigstens weit weg, irgendwo am Rand der Straße. Das war immer ein kleiner Fußmarsch.

Haben Sie Ihrer Frau geschrieben? Zumindest der Song „She’s On Fire“ klingt, als sei er einer Frau gewidmet …

Unsere Frauen haben uns da draußen wirklich sehr gefehlt. Aber die Idee zu diesem konkreten Song kam uns eines Abends, als wir mal wieder bei unserem Mexikaner saßen. „Las Palmas“ heißt das Lokal. Plötzlich schossen aus der Küche die Flammen heraus, das sah echt übel aus. Ich dachte, verdammt, ich mag das Essen wirklich gern, was machen wir denn, wenn das hier abbrennt? Zum Glück konnten sie ganz schnell löschen, und ich hatte die Idee zu diesem Text. Du merkst vielleicht, es geht inhaltlich jetzt nicht immer so richtig tief. Wir haben uns jeden Tag nach unserem morgendlichen Rattle-snake Run einfach hingesetzt und geguckt, wer eine Idee hat.

Dabei ist ganz schön Unterschiedliches entstanden. Auch Songs wie „West Coast Junkie“ – eine richtige klassische Surf-Rock-Nummer.

Das liegt nur an dem alten Fender-Verstärker, den ich bei diesem Song benutzt habe. Mich erinnert der Groove, speziell das Gitarrensolo, an meinen alten Freund Jimi. Hendrix hätte die Nummer sicher schön gefunden.

Woran erinnern Sie sich besonders gern, wenn Sie an Jimi Hendrix denken?

Ach, das waren herrliche Zeiten. Ich war 18, 19 und ging auf eine kunstorientierte Hochschule in Hollywood. Wir hatten eine Band, die Moving Sidewalks, und durften ein paar Konzerte im Vorprogramm von Jimi spielen. Er war nicht nur sehr experimentierfreudig, er war auch immer wahnsinnig interessiert daran, neue Musik zu hören und neue Finessen für sein Spiel zu lernen. Nachts nach den Shows saßen wir oft bei ihm im Hotelzimmer und hörten – oder besser: analysierten – Platten. Jimi bewunderte Jeff Beck. Ich weiß noch genau, wie wir Jeffs Album „Truth“ zusammen hörten und Jimi immer wieder ganz beseelt fragte: „Was meinst du Billy, wie hat er das bloß hingekriegt?“ Ich antwortete ihm, dass Jeff
Beck jetzt womöglich auch irgendwo sitzt und sich genau dieselbe Frage über Jimi stellt.

Ihr Vater war Dirigent des Sinfonieorchesters in Houston. Konnten Sie sich schon als Teenager eine lebenslange Karriere im Rock ’n’ Roll vorstellen?

Nein, das kann ich nicht behaupten. Warum ich überhaupt an den Rock ’n’ Roll geraten bin? Mädchen und Freibier! (Lacht) Sorry, ein Kalauer, ich weiß. Und nicht der einzige Grund. Wir waren von Beginn an super kreativ, die Musik war unsere Möglichkeit, Dampf abzulassen. Aber dass ZZ Top solche Ausmaße annehmen würde, hätten wir uns nicht träumen lassen. Es war und ist ein wilder Ritt, bis heute. Und die Musik ist immer noch das, was wir am meisten lieben. Frank, Dusty und ich müssten das alles nicht mehr. Aber wir dürfen es machen, und deshalb machen wir es.

Sind Mädchen und Freibier immer noch ein Anreiz?

Nicht mehr so sehr (lacht). Wir hatten von beidem genug.

Haben Sie noch denselben Biergeschmack wie vor 50 Jahren?

Bei Bier bin ich nicht wählerisch. Das schmeckt schon alles okay. Ich wäre wahrscheinlich ein besserer Bierexperte, wenn ich im vergangenen Frühjahr, als der Vorhang fiel und du plötzlich nicht mehr dein Haus verlassen solltest, konsequenter zum Alkohol gegriffen hätte. Doch fast immer, wenn ich die Wahl zwischen Gitarre und Flasche habe, nehm ich die Gitarre.

Viele haben sich im Lockdown und im Gefolge der Hipster-Mode einen Bart wachsen lassen. Seitdem ist Ihr Bart kein echtes Alleinstellungsmerkmal mehr. Früher sah niemand so aus wie Sie und Dusty Hill, schon gar nicht in der Rock-Szene. Gehen Ihnen diese Hipster-Typen eigentlich auf den Sack?

Och, die Mode kommt und geht. Aber klar, heute stehen wir mittendrin in einem Riesenhaufen von Bartburschen und fallen nicht mehr auf. Jemand hat mich mal gefragt, wie wir überhaupt auf die Idee mit den Bärten gekommen sind. Die schlichte und wahre Antwort lautet: Faulheit. Wir haben einfach irgendwann aufgehört, uns zu rasieren.

Wie pflegen Sie Ihren Bart?

Sorgfältig.

Mit speziellen Produkten?

Ich trinke kaltes Bier, das ist das beste Produkt.

Kamm oder Bürste?

Kämme mit grober Zahnung tun’s am besten.

Wie oft schneiden Sie ihn?

Immer wenn ich zur Gitarre greife und er mit den Saiten in Berührung kommt, das wirkt Wunder.

Sind Sie stolz auf Ihren Bart?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Ihre Frau Gilligan Stillwater, mit der Sie seit 2005 verheiratet sind, kennt Sie nur mit Bart. Ist sie neugierig, wie Sie ohne aussähen?

Jeder ist da neugierig!

Würden Sie sich eigentlich als modebewusst bezeichnen? Immerhin heißt einer der bekanntesten ZZ-Top-Hits „Sharp Dressed Man“.

Ja, Mode ist cool. Wir sind gerade vom Designer John Varvatos eingeladen worden zu einer kleinen Show im Juni, er ist ein großer Fan von ZZ Top, und wir haben uns ein bisschen angefreundet. Er hat mir schon einen Anzug geschickt, ein richtig scharfes Teil. Den werde ich dort anziehen.

Sie sehen auf aktuellen Fotos echt schlank aus. Passen Ihnen auch die alten Anzüge von früher noch?

Danke, dass Sie mich darauf ansprechen! (Lacht) Darf ich Ihnen noch schnell eine kleine Geschichte erzählen?

Nur zu!

Vor einigen Monaten rief mich ein Kumpel aus Texas an. Er sagte: „Billy, du hast doch vor vielen Jahren erzählt, dass du deinen glänzenden Cowboyanzug verlegt hättest.“ Ich hatte ihn im Flugzeug vergessen, und als ich es merkte und zurücklief, war das Flugzeug schon wieder weg. Mike, mein Kumpel, jedenfalls: „Ich denke, ich habe ihn gefunden.“ Ich sagte: „Das kann ja nicht wahr sein, das ist bald 40 Jahre her!“ Doch, beteuerte er, auf Ebay habe er den Anzug gesehen, es stehe sogar „gehörte Billy F Gibbons“ in der Anzeige. Wir haben recherchiert, den Käufer kontaktiert, und es stellte sich heraus, dass er Anwalt in Texas ist. Er hatte den Anzug von einem Klienten, der seine Rechnung nicht bezahlen konnte und ihm stattdessen diesen Anzug anbot. Krass, was? Ich machte mit dem Anwalt einen Deal und kaufte den Anzug zurück. Und weißt du was?

Ich ahne es …

Richtig. Er passt noch!