„Princess Charming“ Hanna Sökeland ist unser neuer Coverstar
Magazin
Playboy 2022/09

Inhalt

AKTION

Leser-Los: Volker Wendt holt beim „Playmate des Jahres“-Wahlgewinnspiel den Hauptpreis

Gentlemen’s Weekend: So war unser Action- und Genuss-Wochenende in Leogang im Salzburger Land

Jubiläumsparty: Mehr als 300 Freunde feierten mit uns in München den 50. Playboy-Geburtstag

UPDATE

First Lady: Rap-Star Megan Thee Stallion

Ein guter Monat für: Sport- und Foto-Connaisseurs

12 Fragen an ... Ozzy Osbourne

Stil: Ketten und Armbänder für Surfer-Typen 

Timmerberg-Kolumne: Der Zeitgeist und ich 

Reise: „Paradiso“ – das neue Kino-Hotel in Paris

Männerbar: Der vielfältige Sauvignon Blanc

Männerküche: Ceviche für europäische Gaumen

Motor: Der neue Toyota GR Supra im Test 2

Playboy-Umfrage des Monats: Sollte Verhütung mehr Männersache sein?

Pro & Contra: Wollen wir wieder die Wehrpflicht?

INTERVIEW

Eberhofer-Gang: Die Hauptdarsteller des Bayern-Krimis – Sebastian Bezzel, Lisa Maria Potthoff und Simon Schwarz – über den Kino-Erfolg der Serie und ihr Verhältnis zu Alpenromantik

REPORTAGE

Der letzte Dunlop: Sein Bruder, sein Vater, sein Onkel starben als Motorrad-Racer. Doch Michael Dunlop jagt weiter Titel bei irren Straßenrennen in seiner irischen Heimat. Warum, zur Hölle?

MOTOR & TECHNIK

Ferrari 296 GTB: Verdient der erste Sechszylinder aus Maranello den großen Markennamen? Auf Landstraßen und Rennstrecken suchten wir die Antwort

Mein Schlitten: Matthias Wulf und sein Porsche SC 3.0 Targa

TITELSTRECKE

In der lesbischen Dating-Show „Princess Charming“ kämpfen Frauen um ihr Herz. Uns brachte die Halbbrasilianerin Hanna Sökeland um den Verstand

STREITSCHRIFT

Lob der neuen Familie: Ob Patchwork oder Regenbogen – es gibt viel mehr als das klassische Vater-Mutter-Kind-Schema. Und das ist gut so

EROTIK

Playmate: Unsere Miss September, Dominique Lobito, fühlt sich vor der Kamera richtig stark

Blende Sechs: Die erotischen Fotos der Künstlerin Daniela Möllenhoff strahlen vor Selbstbewusstsein

LUST & LEBENSART

Talk about Sex: Ein Expertengespräch über intime Wünsche, heteroflexible Männer und das neue weibliche Porno-Publikum

Tagebuch einer Verführerin: Sophie Andresky über Sex auf Drogen und andere Dummheiten

STIL

Mode: Lässiges für Herbst und Winter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz

Pflege: Eine kleine Rasierpinsel-Kunde

KULTUR

Cro: Der Musiker mit der Pandamaske über ständiges Verliebtsein und sein neues Album

Literatur, Musik & Serien: Das Beste des Monats

STANDARDS
  • Editorial
  • Making-of
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  • Bezugsquellen
  • Playboy Classic

Sein Onkel, sein Vater, sein Bruder – alle tot. Gestorben auf der Rennstrecke. Aber Michael Dunlop rast weiter. Als letzter Racer einer Motorrad-Dynastie, die sich selbst zerstört. Wieso zum Teufel hört er nicht auf? Unser Autor folgte ihm zu einem Straßenrennen an der irischen Küste, um es herauszufinden.

Es regnet in Strömen, ein eisiger Wind peitscht dunkle Wolken vom Atlantik ins Innere der Insel, und Michael Dunlop hat schlechte Laune. Sehr schlechte Laune. Mit seinem Motorrad stimmt etwas nicht. Mit seinen Reifen stimmt etwas nicht. Mit ihm selbst stimmt etwas nicht. Und in einer Stunde beginnt das Rennen. Das NW200-Race ist nach dem mörderischen Rundkurs auf der britischen Isle of Man das berüchtigtste Straßenrennen der Welt. Es führt von Portrush an der irischen Nordküste über 14 Kilometer durch Dörfer und über Landstraßen in mehreren Runden wieder zum Startpunkt. Die Strecke ist extrem gefährlich, die Fahrer erreichen Geschwindigkeiten von 320 km/h. In den vergangenen 15 Jahren sind auf dem Kurs fünf Fahrer tödlich verunglückt. 

Michael Dunlop: „Für mich gibt es nur Platz eins. Der Zweite ist der erste Verlierer“ 

Michael Dunlop, 33, ist der Local Hero auf dieser Strecke. Er stammt aus einer Rennfahrer-Dynastie und lebt ein paar Kilometer südlich von Portrush in einem Städtchen namens Ballymena. Nach seinem berühmten Onkel Joey ist er der erfolgreichste Fahrer der Familie. Aber Joey ist tot. Gestorben bei einem Motorradrennen im Juli 2000. Genauso wie Michaels Vater Robert, den es 2008 erwischte. Und Michaels Bruder William, der 2018 sein Leben verlor. Michael ist der einzige überlebende Dunlop-Racer. „In mir“, hat er mal gesagt, „fließt das Blut der Legenden. Ich muss der Beste sein. Das bin ich meiner Familie schuldig. Für mich gibt es nur Platz eins. Der Zweite ist der erste Verlierer.“

Aber im Moment sieht es nicht gut aus für Michael Dunlop. Einen Tag vor Rennbeginn hat er sich mit seinem Rennstall zerstritten. Er ist ein wenig jähzornig und schmeißt schnell alles hin, sagen Leute, die ihn kennen. Sagt er auch über sich selbst. Jetzt fährt er statt einer werksunterstützten Ducati eine Yamaha, die ihm Be- kannte zur Verfügung gestellt haben. In einem windigen Zelt am Rande der Boxengasse kauert er über der Maschine und zerrt an der Federgabel herum. Er trägt trotz der Kälte kurze Hosen. Seine Haut ist fleckig. Neurodermitis oder eher Pilz? Vor dem Zelt steht eine Traube von Menschen im Regen und schaut zu, wie er mit dem Motorrad kämpft. Einer der Zuschauer bin ich. Weil ich wissen will, wie dieser Mann tickt, der alle verloren hat, die ihm wichtig waren, und trotzdem weiterfährt, obwohl er weiß, dass der Tod auch auf ihn wartet. Ein kleiner Fehler, eine kurze Konzentrationsschwäche – und es ist vorbei. Für immer. 

Heldenstatus in Nordirland, 20 Siege auf der Isle of Man, aber Michael Dunlop hat noch nicht genug. Beim North-West- 200-Rennen tritt er, wie so oft, als Favorit an. Und wie stets begleitet von der Frage: Geht das alles gut?
Credit: Bernhard Huber

Gut möglich, dass Michael Dunlop seltsam ist

Seit zwei Jahren will ich mit Michael Dunlop sprechen. Immer wieder weicht er aus. Er redet nicht gern über sich. Mit niemandem. Neben mir steht ein Mann, der sagt, seine Tochter sei mal mit Michael Dunlop zusammen gewesen. Hat nicht so gut geklappt, sagt der Mann, Michael habe den Mund nicht aufgekriegt. Die Security-Frau am Eingang zur Boxengasse muss lachen, als ich sage, ich sei hier, um mit Michael Dunlop zu sprechen. „Viel Glück!“, sagt sie nur. Die Frau stammt aus demselben Dorf wie er. Manchmal trifft sie ihn auf der Straße, Dunlop geht gern mit seinen zwei Yorkshireterriern Gassi. „Da redet der auch kaum etwas“, sagt die Frau. „Früher war er okay, aber seit sein Vater gestorben ist, ist er seltsam geworden.“ 

Robert Dunlop verunglückte am 15. Mai 2008 auf der NW200-Strecke, in deren Boxengasse wir jetzt stehen. Beim Qualifikationstraining hatte seine Maschine bei Tempo 250 einen Kolbenklemmer. Vielleicht kam er auch versehentlich an die Bremse, die er wegen seiner kaputten rechten Hand auf Daumenbetätigung umgebaut hatte. Er stürzte jedenfalls, und ein nachfolgender Fahrer raste in ihn hinein. Fast hätte Michael Dunlop ihn auch noch erwischt, er fuhr hinter seinem Vater und konnte gerade noch stoppen vor dem zerstörten Motorrad und dem leblosen Körper auf dem Asphalt. Am selben Abend, gegen 22 Uhr, wurde Robert Dunlop im Krankenhaus für tot erklärt. Statt die folgenden Rennen abzusagen, fuhr sein Sohn einfach weiter. Keine 48 Stunden später gewann er in der 250-ccm-Klasse und widmete den Sieg seinem Vater. Am nächsten Tag wurde Robert Dunlop beerdigt. Gut möglich, dass Michael Dunlop seltsam ist. 

2008 kam Robert Dunlop ums leben. 2018 erwischte es auch William Dunlop.
Credit: Bernhard Huber

Michael Dunlops Leben vor dem Motorsport: Gemobbt, geschlagen, gewehrt

Die anderen Fahrer in der Boxengasse reden mit ihren Fans, geben dem Lokalfernsehen und dem britischen Sender BBC Interviews, besuchen ihre Konkurrenten, lachen mit ihnen. Dunlop schraubt verbissen an seiner Maschine. Er schaut kaum auf, er lacht nicht – und natürlich redet er auch nicht mit den anderen Fahrern. Geht auch schlecht, keiner kommt bei ihm vorbei. „Die mögen ihn nicht“, sagt einer der Zuschauer. Liegt vielleicht daran, dass er für seinen skrupellosen Fahrstil berüchtigt ist, der nicht nur ihn, sondern auch alle anderen in Gefahr bringt, die in seine Nähe kommen. Liegt aber vielleicht auch daran, dass er nicht antwortet, wenn man ihn etwas fragt. 

Michael Dunlop: „Ich bin ein Idiot. Ich habe von nix Ahnung und kann kaum lesen und schreiben. Ich bin echt dumm“

„Michael“, sage ich, „kann ich dich was fragen?“ Er schaut nicht auf: „Rede mit Valerie, sie ist der Boss“, sagt er. Valerie ist die Frau, die in seinem Zelt Hoodies, T-Shirts, Mützen und Kaffeetassen mit seinem Namen verkauft. Das Geschäft läuft schleppend. Valerie sagt: „Er redet nicht gern.“ Ich sage: „Das habe ich schon gemerkt.“ Sie sagt: „Da kann man nichts machen.“ Im Pressezelt spreche ich mit ein paar Kollegen. „Was ist los mit Michael Dunlop?“ Einer antwortet: „Keine Ahnung, mit uns redet er auch nicht.“

Vor fünf Jahren hat er es – wahrscheinlich aus Versehen oder weil er Geld brauchte – doch einmal getan. Er erzählte dem britischen Ghostwriter Jeff Hudson sein Leben, und der machte daraus unter Michaels Namen ein ziemlich faszinierendes Buch namens „Road Racer: It’s in My Blood“, das allerdings grob unsensibel mit Dunlop umgeht. Als Kind war er ein „fetter, kleiner Idiot“, heißt es da, der von seinem Vater immer wieder so brutal verprügelt wurde, dass er tagelang nicht sitzen konnte. „Ich hab’s verdient“, findet Michael, „ich hab ziemlich viel Scheiße gebaut.“ Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Weil die Dunlop-Familie arm war, mussten die drei Jungs einmal die Woche zusammen in die Badewanne. Michaels größter Spaß war es, seine älteren Brüder mit einem fiesen Trick aus der Wanne zu treiben: Er hat einfach reingekackt, um dann kichernd zu beobachten, wie die beiden versuchten zu fliehen, ohne mit der Wurst in Kontakt zu kommen.

In der Grundschule fiel er auf, weil auch er selbst ständig Leute verprügelte, vor allem wenn sie ihn wegen seiner stämmigen Figur mobbten, gern aber auch ohne triftigen Grund. „Ich tendierte dazu, sofort zuzuschlagen – und mir erst danach Gedanken zu machen, ob das richtig ist. Und ich bin heute noch genauso“, zitiert ihn sein Biograf Hudson. Die Sportlehrer steckten ihn in die Rugby-Mannschaft, aber da war er nicht lange, weil er mit zwölf Jahren die Schule abbrach. Wenn er in Formularen nach seinem Schulabschluss gefragt wird, gibt er ein leeres Blatt ab. „Ich will gar nicht drum herumreden“, sagt er in dem Buch, „ich bin ein Idiot. Ich habe von nix Ahnung und kann kaum lesen und schreiben. Ich bin echt dumm.“ 

Der Anfang von Michael Dunlops Rennkarriere: Schon im Stehen fiel er um

Auch mit dem Motorradfahren klappte es anfangs nicht so gut. Seine erste Maschine war ein 49-ccm-Moped mit ein paar armseligen PS, denen es schwerfiel, den kleinen, dicken Michael ordentlich in Schwung zu bringen. Er tuckerte bei allen Rennen als Letzter ins Ziel. Die leichtere Konkurrenz war einfach schneller. Als er dann eine größere Maschine bekam, lief es auch nicht viel besser. Jetzt war er zwar flotter unterwegs, aber seine Arme und Beine waren für den Rahmen zu kurz. Im Stehen fiel er gern um, beim Fahren kam er nicht gut an den Lenker und die Bremshebel. Schon bei der ersten Probefahrt kriegte er eine Kurve nicht und crashte das neue Motorrad. „Oh Mann“, stöhnte sein Vater, „du kannst doch nicht geradeaus weiterfahren, wenn es um die Ecke geht.“ Den Gasgriff benutzt Michael Dunlop noch heute lieber als den Bremshebel. Aber mittlerweile gehört er zu den besten Straßenrennfahrern der Welt. 20-mal hat er auf der Isle of Man gewonnen, fünfmal auf seiner Heimatstrecke NW200. Und auch dieses Mal will er wieder auf dem Podium stehen. Und zwar nicht auf Platz zwei oder drei. Das sind für ihn die Loser-Treppchen. 

Credit: Bernhard Huber

Kein Schutzkäfig. Keine Gurte

Bis zur letzten Minute schraubt er an seinem Motorrad. Fast alle anderen sind schon längst in der Startposition, als Michael endlich eintrifft. Es regnet noch immer. Michael redet mit niemandem, setzt sich auf sein Motorrad mit der Startnummer 6, legt wie alle anderen 30 Sekunden vor dem Start den ersten Gang ein, und als die Ampel auf Grün schaltet, rast er im Pulk los. 

Rund 150.000 Zuschauer säumen die Strecke, die meisten sind mit dem Motorrad angereist, einige aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Fast alle tragen Kutten und fahren große, schwere Maschinen. Viel sehen vom Rennen können sie nicht. Dafür aber alles hören. Zunächst kommt der Helikopter von der BBC, dann der erste Fahrer. Tempo 300, so schnell kann man gar nicht schauen, wie er vorbeiflitzt. Dann folgen die anderen. 40-mal iiiooongwommm und weg, 40 farbige Blitze, 40-mal den Kopf von links nach rechts reißen, 40-mal nichts erkannt. Dann ist der Pulk vorbei. Bis zur nächsten Runde.

Irgendwie sind Motorradrennen aus der Zeit gefallen. Zu unübersichtlich, zu wenig fernsehtauglich, zu laut, zu umweltschädlich, zu gefährlich. Bei der letzten Tourist Trophy auf der Isle of Man im Juni 2022 kamen innerhalb von ein paar Tagen fünf Fahrer ums Leben. Seit dem ersten Rennen dort vor 111 Jahren sind damit 260 Racer auf der Insel in der Irischen See tödlich verunglückt. Der Asphalt auf den Straßen-Rennstrecken in aller Welt ist blutgetränkt. Aber vielleicht ist gerade das der Thrill? Jederzeit kann ein schrecklicher Unfall geschehen – und im Unterschied zu Autorennfahrern haben die Motorrad-Racer keinen Schutzkäfig, keine Gurte, keine Knautschzonen. Nur ein Overall schützt die Fahrer. Bei 320 km/h. Eine winzige Unaufmerksamkeit, ein Materialfehler, eine rutschige Stelle auf dem Asphalt, und schon birst Blech und brechen Knochen. Mit diesem Bewusstsein zuzusehen ist nervenzehrend. Aber damit zu fahren? 

Der Aufstieg der Dunlops zur Motorrad-Dynastie

Es war Michaels Onkel Joey, mit dem der Aufstieg der Dunlops zur Motorrad-Dynastie begann. Ende der 60er-Jahre fuhr Joey als ach vier Runden auf dem Rundkurs von Portrush kommen die Fahrer ins Ziel. Sieger ist ein charismatischer Typ: Alastair Seeley, Spitzname „Wee Wizard“ („kleiner Zauberer“), eben- falls Nordire, aber zehn Jahre älter als Dunlop und mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Kfz-Mechaniker. Das wird Dunlop richtig wurmen.

Aber wo ist er überhaupt? Ein Blick in die Ergebnisliste zeigt das Desaster: ausgeschieden nach Runde eins. Das wird seine Laune nicht verbessern. Ich frage nach dem Rennen in der Boxengasse: „Was war da los, Michael?“ Dunlops Antwort ist die übliche: schweigen. 

Credit: Bernhard Huber

Vielleicht ist Michael Dunlop wegen der Todesfälle so ein hemmungsloser Fahrer

Das ist natürlich blöd für jeden PR- Agenten: ein Star, der nichts sagen will. Vielleicht hat Dunlop deshalb gar keinen und behilft sich mit Valerie, der kleinen alten Lady vom Souvenirverkauf. Andererseits: Warum sollte Dunlop überhaupt mit irgendjemandem reden? Er ist damit beschäftigt, die Todesfälle in seiner Familie zu verarbeiten. Sein Vater, sein Bruder, sein Onkel. Er sagt, er spürt ihr Blut in seinem. Das ist ein Trauma. Wenn mir das passiert wäre, hätte ich auch keinen Bock auf Small Talk. Da will man weg, so schnell man kann – und Michael ist am schnellsten auf seinem Motorrad. Vielleicht fährt er deshalb weiterhin wie ein Wahnsinniger im Kreis herum. Verletzt und wütend. Vielleicht fühlt es sich wie rächende Gerechtigkeit an, wenn er gegen die Rennstrecke gewinnt, die seinen Vater auf dem Gewissen hat. Vielleicht ist er wegen all der Traumata, der Schicksalsschläge, den verfluchten Todesfällen so ein hemmungsloser Fahrer. Er hat nichts mehr zu verlieren außer sei- nem Leben. Vielleicht ist alles auch ganz anders. Klar scheint nur: Er sieht das Ganze irgendwie als sein Schicksal an, vor- bestimmt, unabwendbar. „Du schreibst nicht dein eigenes Drehbuch im Leben“, erklärt er in seinem Buch. „Dies ist das Drehbuch, das mir gegeben wurde. Das ist es, was ich bin. Michael Dunlop: Road Racer.“ 

Vier Rennen stehen beim NW200-Race noch aus. Das Wetter wird besser, die Straßen trocknen. Dunlop fährt im Tide Supersport Race auf Platz 3, Durchschnittsgeschwindigkeit 187 km/h. Nicht schlecht, aber für Michael eine Verliererposition. Und es kommt noch schlimmer. Im nächsten Rennen explodiert sein Hinterreifen. Materialfehler. Er kann den Unfall gerade noch verhindern. Im wichtigsten letzten Rennen holt die Reifenfirma vorsichtshalber alle Motorräder mit ihren Pneus von der Bahn. Über 20 Fahrer können nicht starten. Dunlop ist dabei. Er packt seine Maschinen in den Transporter, baut das Zelt ab, sichert alle losen Gegenstände in seinem goldfarbenen Scania-Wohnmobil – und fährt nach Hause. Zu den Hunden. Gassi gehen. Auf die Welt scheißen. 

„Danke für die guten Gespräche“, sage ich. „Gern geschehen“, ruft Michael Dunlop von der Treppe seines Wohnmobils. Dann schließt er die Tür. 

Nur einer darf den Rekord seines Onkel Joeys brechen – Michael Dunlop selbst

Vier Wochen später, im Juni 2022, fährt er auf der Isle of Man in der Supersportklasse auf einer Yamaha YZF-R6 als Erster ins Ziel. Durchschnittsgeschwindigkeit auf den drei 60-km-Runden: 208,8 km/h. Neuer Rekord. Damit ist Michael Dunlop angekommen in der Hall of Fame der Straßenrennfahrer. Es war sein 20. Sieg auf der Isle of Man. Nur John McGuinness (23 Siege) und sein legendärer Onkel Joey (†, 26 Siege) haben den berühmten Rundkurs öfter gewonnen. Michaels erklärtes Ziel ist es zu verhindern, dass McGuinness auf der Insel noch mehr erste Plätze einfährt. Onkel Joey soll der Beste der Besten bleiben. Wenn jemand den Rekord des überragenden Racers jemals toppen darf, dann muss es jemand aus der Familie Dunlop sein. Und da ist nur noch einer übrig. 

Credit: Bernhard Huber