In Südafrika tobt ein täglicher Kampf um die letzten Nashörner. Entbrannt zwischen Wilderern und Rangern. Weil der Glaube an seine Heilkraft das Horn auf dem globalen Schwarzmarkt so wertvoll macht wie Kokain. Ein Todesurteil für Tiere und Menschen. Im Kruger-Nationalpark wurden wir Zeuge.

Den Schuss, der dich tötet, hörst du nicht. Kugeln fliegen schneller als der Schall. Doch wenn sie dich verfehlen, bist du im südafrikanischen Busch, wo es zwischen lauter Mopane-Sträuchern kaum freie Sicht gibt, ebenso schnell im Vorteil: Dann verrät ein Schuss nur den Kerl, der abdrückt.

Man muss das wissen, um zu verstehen, wie Thomas, Wiseman und Fredy reagieren, wenn es knallt: Sie gehen nicht in Deckung. Sie schießen zurück. Eilen durchs Dickicht, den Schützen entgegen, und antworten aus ihren R1-Schnellfeuergewehren. Eine äußerst mutige Taktik der Selbstverteidigung, auf die sie eigens trainiert worden sind, als sie ins 20-köpfige Spezialkräfte-Kommando der Wildhüter im Kruger-Nationalpark aufgenommen wurden. Weil nur massive Notwehr funktioniert gegen einen Feind, für den es um alles oder nichts geht: den bettelarmen Wilderer, meist zu dritt unterwegs, schwer bewaffnet und mit einer Beute im Rucksack, die ihm ein neues Leben verspricht. Ein Leben, für das er tötet. Nashörner, denen die wertvolle Beute aus dem Gesicht wächst, genauso wie Menschen, die ihm im Weg stehen.

Zwei Drittel der weltweit noch etwa 29.000 Nashörner leben in Südafrika, und nirgends findet man sie so dicht beisammen wie hier
Credit: Florian Wagner

Je massiver die Notwehr der Special Ranger beim Zugriff ausfällt, die Thomas, Wiseman und Fredy dem Playboy-Reporter an einem Morgen im November 2018 demonstrieren, desto größer die Chance, dass die illegalen Jäger die Arme heben, sich festnehmen und alles fallen lassen: Gewehre, Proviant, Beile, Sägen. Und ihre Hoffnung.

„Wenn wir sie erst mal aufgespürt haben, gewinnen wir fast immer“

„Unsere Leute wollten ursprünglich Naturschützer sein, aber sie müssen heute arbeiten wie Soldaten“, sagt Albert Smith, ein hochrangiger Wildhüter, der mit vollem Namen genannt und auf Fotos kenntlich sein darf – anders als Special Ranger wie Thomas, Wiseman und Fredy, die bisweilen verdeckt im Umfeld Verdächtiger ermitteln und sich im Busch heute Heerscharen von illegalen Jägern gegenübersehen: Rund 7300 ungebetene Gäste, die meisten aus dem Armutsstaat Mosambik, brachen 2018 in den Kruger-Park ein. Das verrät die Auswertung ihrer Spuren, Fußabdrücke, Proviantreste, Fundsachen den 20 Spezialkräften und den 500 Feld-Rangern, die tagein, tagaus auf der Suche nach dem Feind durchs Gelände patrouillieren: ein umzäuntes Gebiet, etwa so groß wie Hessen, weitgehend bewachsen mit hohem Gesträuch, in dem man sich leicht unsichtbar machen kann. Hier jeden Wilderer zu stellen – ein fast aussichtslos erscheinendes Unterfangen.

Nur etwa 140 Festnahmen gelangen im vergangenen Jahr. Offiziell noch ungezählt hingegen: die Summe der Toten und Verletzten. Fünf Ranger starben in den vergangenen Jahrzehnten bei Schießereien mit Wilderern im Kruger-Park. Mindestens einer überlebte 2018 verletzt. Die jüngste belastbare Zahl für die Wildererseite stammt aus dem Jahr 2014. Sie führt 174 „neutralisierte“ Personen auf: 129 Festgenommene, 45 Tote. „Wenn wir sie erst mal aufgespürt haben, gewinnen wir fast immer“, sagt Thomas.

 

Der Kruger-Knast. Hier warten Wilderer auf ihre Haftbefehle. Rund 140 Festnahmen gab es 2018

Am Ende jeder Nacht, die er nicht im Feld verbringt, macht sich der 40-Jährige von daheim aus auf den Weg: Für die zwei Kinder kommt der Schulbus, seine Frau arbeitet in der Tourismusabteilung des Parks. Die Familie lebt in einem übermannshoch umzäunten Häuschen mitten in der von Straßen und Staubpisten erschlossenen Wildnis. Ein Zimmer, eine Küche, ein Waschraum. Thomas legt seine Uniform an und fährt mit dem Gelände-Pick-up ins Joint Operations Centre zur Einsatzbesprechung des Tages. Die halbstaatlichen Umweltkriminalitätsermittler der Nationalparks, meist Ex-Polizisten, die wachhabenden Officers aus dem Kontrollzentrum, die alle per GPS übermittelten Wege der patrouillierenden Feld-Ranger in Echtzeit auf Monitoren beobachten – sie treffen sich hier zur Tagesplanung. Und schicken bei Bedarf die ersten Helikopter mit Bluthunden und Special Rangern für Festnahmen los. Mit an Bord jedes Helis: „Trauma-Kits“ zur Erstversorgung der Schwerverletzten. Thomas sagt: „Wenn ich meiner Frau und den Kindern erzählen würde, was da draußen los ist im Busch, würden sie verlangen, dass ich meinen Job hinschmeiße.“

Der Kruger-Park ist das Paradis für Nashörner und Wilderer

Es herrscht Krieg in einem der größten Naturschutzgebiete Afrikas. Er tobt abseits der geteerten Straßen und damit unsichtbar für die Familien der Ranger wie für die rund zwei Millionen registrierten und gründlich kontrollierten Touristen, die hier jedes Jahr unterwegs sind. Aus Privatwagen, Bussen und Gamedrive-Mobilen bestaunen sie in freier Wildbahn, was sie sonst nur aus Zoos oder dem Fernsehen kennen: Krokodile, Flusspferde, Löwen, Giraffen, Antilopen, Elefanten. Und die Nashörner, um die der Krieg entbrannt ist. Denn der Kruger-Park ist ein wahres Nashorn-Paradies. Noch. Zwei Drittel der weltweit etwa 29.000 Rhinozerosse leben in Südafrika und die meisten davon hier: Rund 5000 Breitmaul- und etwa 500 Spitzmaulnashörner wurden für das Jahr 2017 im Kruger-Park gezählt. Mehr als 900 Tiere fielen jedoch in den vergangenen zwei Jahren Wilderern zum Opfer. Das heißt: Das Nashorn stirbt schneller, als es sich vermehren kann. Es ist massiv bedroht. Ein Umweltdrama, hinter dem – wie hinter fast allen Umweltdramen – die menschliche Tragödie steckt. Sie besteht aus Dummheit, Gier, Armut und Brutalität.

Mehr als 900 Nashörner wurden in den letzten zwei Jahren getötet - des Horns wegen, das einzeln bis zu sechs Kilo wiegt

Geradezu epidemisch breitet sich die Dummheit aus: am anderen Ende der Welt, in Asien, wo sie den Aberglauben nährt, Rhinozeros-Horn habe heilende Kräfte. Bis heute ließ sich die irre Vorstellung nicht aus dem Einflussbereich der Traditionellen Chinesischen Medizin verbannen. Im Gegenteil. Sogar als Mittel gegen Krebs wird der Stoff, das Keratin, aus dem auch menschliche Fingernägel bestehen, heute illegal gehandelt. Und der Schwarzmarkt boomt in China und Vietnam: Länder, in denen der Wohlstand so schnell wächst wie seine Begleitkrankheiten Lungen- und Darmkrebs. Statt das Fingernägelkauen zu propagieren, rotteten Helfershelfer des örtlichen Gesundheitswesens 2011 das Java-Nashorn in Vietnam aus. Und mit der Verknappung des verbotenen Stoffs kletterte sein Preis in den vergangenen Jahren auf das Niveau von Kokain. Umgerechnet 60 bis 90 Euro zahlen Kunden für ein Gramm Rhinozeros-Horn auf dem asiatischen Schwarzmarkt. Auch als Luxusprodukt ist es deshalb beliebt. Wer es seinen Gästen in den Drink raspelt, zeigt, dass er es geschafft hat. Die Spitze der Angeberei: Schmuck und Schalen aus Rhinozeros-Horn. Die Dummheit gebiert Gier.

Das Überleben der Wilderer verspricht ein überdurchschnittliches Jahreseinkommen

Die Armut hingegen hat ihre Heimat in den Dörfern und Landschaften rund um den Kruger-Park: in den windschiefen Hütten und bewohnten Wellblechbüchsen, die viele Straßen Südafrikas und Mosambiks säumen. Mancher, der hier seine Existenz fristet, setzt sein Leben schon für vergleichsweise kleinstes Geld aufs Spiel: für etwa 60 Cent pro Gramm Rhinozeros-Horn. Drei bis fünf Kilogramm wiegt im Durchschnitt, was der Wilderer einem erschossenen Tier mit Gewalt und scharfem Werkzeug aus dem Gesicht sägt. Schafft er es mit dieser Beute lebendig raus aus dem Kruger-Park, zahlt sein Auftraggeber ihm im Durchschnitt 2400 Euro pro Horn. Das ist mehr als ein doppeltes durchschnittliches Jahreseinkommen in Mosambik. Und vergleichbar viel, wenn der Wilderer aus den ärmlichen Verhältnissen eines südafrikanischen Dorfes stammt.

So bringen die Wilderer Wohlstand in die Hütten. Ganze Dorfgemeinschaften deckten Verbrecher in den eigenen Reihen, erzählt Frik Rossouw, der örtliche Senior-Ermittler für die südafrikanischen Nationalparks, der die Playboy-Reporter am nächsten Morgen einen Blick in einen Gefängnisgang werfen lässt.

Ermittler Frik Rossouw hält eine Kugel in der Hand, mit der Wilderer die Tiere zur Strecke bringen

Die Zellen am Justizstützpunkt im Kruger-Park, wo festgenommene Wilderer auf ihre Haftbefehle warten, dürfen wir nicht betreten. Interviews mit Wilderern, die noch nicht rechtskräftig verurteilt sind, verbieten sich von Gesetzes wegen. Das soll uns aber nicht ärgern, meint Frik Rossouw, weil von den Jungs da drin ohnehin nur wenig Erhellendes zu erfahren sei. Festgenommene beschuldigten sich höchstens gegenseitig. Über ihre Freunde und die Hintermänner mit den Dollars hingegen schweigen sie eisern.

Wer sind die Abnehmer der kostbaren Beute, die Männer mit dem Bargeld? Mit wessen Hilfe schmuggeln sie das Horn, wer bringt es außer Landes? Ermittler wie Rossouw wissen, dass sie es mit einem gut organisierten Verbrechensnetzwerk zu tun haben, einer Nashorn-Mafia mit besten Verbindungen. Der preisgekrönte Dokumentarfilm „Stroop – Journey into the Rhino Horn War“ beleuchtete im vergangenen Jahr beispielhaft den Fall des früheren südafrikanischen Staatssicherheitsministers David Mahlobo, der Ende 2016 mit einem Schmuggler-Syndikat in Verbindung gebracht wurde.

Die südafrikanische Dokumentation der Filmemacherin Susan Scott und Bonné de Bod wurde 2018 auf zehn Filmfestivals ausgezeichnet

Ein chinesischer Geschäftsmann und selbst erklärter Hornhändler namens Guan Jiang Guang hatte mit dem damaligen Geheimdienstchef Mahlobo auf Fotos posiert. Mahlobo bestreitet die Vorwürfe zwar bis heute. Eines wird aber trotzdem klar, im Film wie am Kriegsschauplatz selbst: Der kleine Wilderer, den Rossouw und seine Special Ranger im Kruger-Park festnehmen, ist nur das unterste, das schwächste Glied einer globalen Geschäftskette. Die Härte seines erbarmungswürdigen Lebens ist gewollter Bestandteil des Systems.

Wie hart es da unten ist? Frik Rossouw möchte, dass wir es mit eigenen Augen sehen: die Brutalität, mit der Wilderer vorgehen. Nicht bei Festnahmen und Schießereien, da würden wir nur im Weg stehen und unser Reporterleben sowie die Mission der Ranger gefährden. Aber wie wäre es mit einem frischen Tatort?

Tatort: zwei Nashorn-Leichen inmitten des malerischen Kruger-Parks

Er führt uns aus dem Gefängnis. Die vergangene Nacht war eine Vollmondnacht. Der Vollmond ist der beste Freund der Wilderer. Nur wenn er scheint, kann man in der Wildnis nachts sehen und jagen, und entsprechend viel ist geschehen in den letzten zehn Stunden. Zum Beispiel in Melalane, einem Gebiet an der Südgrenze des Kruger-Parks, wie Frik Rossouw von seinem Kollegen Albert Smith, dem Chef-Ranger dort, per Funk erfährt. Er gibt uns Alberts Koordinaten. „Beeilt euch, Guys, er kann nicht lange warten“, sagt Rossouw. Und so heizen wir, wo wegen der vielen Wildwechsel nur 50 km/h erlaubt sind, im Autobahntempo an den Wagen der empörten Touristen vorbei – nur um uns eine Stunde später von Albert in die wahre Kunst der Ranger-Raserei einweihen zu lassen. Während der untersetzte Mittfünfziger seinen Pick-up-Truck einhändig durchs Gelände jagt wie ein gestörter Rallyefahrer, zeigt er mit der anderen Hand ein Video auf seinem Mobiltelefon: zwei Typen mit Mützen und Gepäck, die am Ufer eines Flusses in die Deckung von Büschen rennen. Der Vollmond ist auch ein Freund der Überwachungskameras. Ein Farmer von der anderen Seite des Flusses hinter der Parkgrenze hatte Albert letzte Nacht Schüsse gemeldet. Und Albert konnte sich mittels der Funkvideos überzeugen: zu spät. Täter entkommen. Der Grenzzaun ist hier nur wenige Meter entfernt.

Tatort: Zwei von rund 450 Wilderei-Opfern des letzten Jahres im Kurger-Park: eine tote Nashornmutter und ihr totes Baby

Als wir eintreffen, bietet der Tatort ein malerisches Bild: Der Crocodile River schlängelt sich sanft durch ein Wiesental, am Hang frühstückt eine Elefantenfamilie, aus dem Wasser ragt der Kopf eines Nilpferds. Dahinter verläuft der Grenzzaun zum saftig grünen Zuckerrohrfeld des Farmers, der Alarm geschlagen hatte. Ein idyllisches Landschaftsgemälde – läge da nicht ein blutiger Koloss im Gras. Und stünden nicht um ihn herum die Männer von der Spurensicherung. Eine Socke haben die Killer verloren, ein paar Projektile wurden bereits im Gras gefunden und markiert. Die anderen Kugeln, die Hinweise auf die Waffe und damit die Täter liefern können, müssen irgendwo in dem riesigen Leichnam stecken. Ein Polizeibeamter fährt mit einem Metalldetektor über die Nashornkuh.

Mit Metalldetektoren orten Ermittler in den Leichen die Kugeln der Wilderer

Ein Veterinär beginnt, sie auf der Suche nach den Projektilen zu zerlegen. Neben ihr im Gras: ihr sechs Monate altes Baby. Es scheint zu schlummern. Doch es atmet nicht.

Das traurige Ende eines heranwachsenden und weniger wertvollen Nashorn-Babys

Unter einem winzigen Loch in seiner Stirn: ein getrocknetes Rinnsal aus Blut. Ansonsten ist das Kälbchen unversehrt, weich und sonnenwarm. Auch sein Hörnchen haben sie ihm gelassen. Und Albert erklärt uns, wie die zwei Feld-Ranger, die uns jetzt bewaffnet vor den neugierigen Elefanten und dem Nilpferd bewachen, das Geschehen der letzten Nacht anhand der Spuren im Gras rekonstruiert haben. Also, Rückblende: Nashornmutter und Kind kreuzen hier am Vorabend gegen 21 Uhr auf, die Mutter trinkt am Flussufer. Dann säugt sie ihr Kind. Plötzlich fallen Schüsse. Die Mutter macht ein paar schnelle Schritte und bricht zusammen. Ihr Baby bleibt bei ihr. Es braucht ihre Körperwärme und Nähe.

Mit Messern werden die Kugeln herausgeholt, denn sie sind wichtige Beweismittel

Als die Wilderer sich auf die sterbende Kuh setzen und beginnen, ihr mit Gewalt das Horn aus dem Gesicht zu hacken, umkreist das Kind quiekend die Szenerie. Ein Wilderer beendet die Störung und streckt das Baby mit einem Kopfschuss nieder. „Sonst hätten wir es jetzt auf die Babystation bringen können“, sagt Albert und nimmt seine Mütze ab, um sich mit der flachen Hand über den Kopf zu fahren. Auch Ranger haben Gefühle.

Werden sie von den Wilderern verschont, harren Nashornbabys tagelang bei ihren toten Müttern aus. Das erzählt der Dokumentarfilm „Stroop“. Erst geht die Milch aus. Doch wenn sie Glück haben, ist Wasser in der Nähe, eine Pfütze, ein bisschen Schlamm. Und kein Löwe. Stattdessen irgendwann ein menschlicher Retter, der ein Gehege mit Wärmelampen bereithält und die traumatisierten Tierkinder mit Milchflaschen großzieht. Grausiger Höhepunkt der Dokumentation: Ein Nashorn-Waisenhaus wird von Wilderern überfallen. Das Team, das dort arbeitet, wird bedroht, eine Mitarbeiterin vergewaltigt. Und jedes junge Tier, dem bereits ein lohnendes Horn gewachsen ist, getötet. Das größte stirbt wie einst seine Mutter: Es verblutet in exakt so einer dreckigen Pfütze wie jener, aus der es als Baby gerettet wurde.

BILD

Im Kino gibt es Taschentücher. In der Wildnis gibt es Nilpferde. Als hätte das Hippo geahnt, dass die Arbeit der Kriminalisten am Ufer erledigt ist, erhebt es sich aus dem Fluss und brüllt uns an. Nichts lindert Trauer schneller. Wir treten den Rückzug an – und sind noch keine 300 Meter vom Tatort entfernt, da wird der Himmel mit einem Mal schwarz vor Geiern. Wo haben die riesigen Vögel die ganze Zeit über gesteckt? Keine Ahnung. Als Neuling sieht man im Busch nicht viel – wird aber aus tausend Augen beobachtet. Ständig. Selbst in der Nacht. Glücklich, wer in solcher Gesellschaft ist wie wir. Frik Rossouw ist noch zu der Gruppe gestoßen, Albert Smith ist dabei, zwei Feld-Ranger, ein Polizist – alle bewaffnet. „Schau, hier sind erst vor wenigen Minuten Impalas durchgelaufen“, sagt einer der Feld-Ranger und deutet ins Gras. Aber man sieht dort als Laie: nichts. Nur Steine und trockene Halme. „Und hier ist ein Mensch gegangen. Aber kein Wilderer, sondern einer von uns.“ Ranger sehen mit den Augen der Wildnis – eine an Zauberei grenzende Kunst.

Am Ende gewinnen immer die Geier. Irgendwann gehört jeder Tatort ihnen.

Der Boden erzählt uns Geschichten, er ist wie ein Buch, in dem steht, was in den letzten Tagen und Stunden passiert ist“, erklärt Thomas, der Special Ranger, als wir uns am nächsten Tag genauer vorführen lassen wollen, wie Wildhüter den durch den Park wandernden Wilderern auf die Spur kommen. Zum Test laufen wir selbst ein paar Meter durchs Gelände und bitten Thomas, Wiseman und Fredy, uns unsere eigenen Fußabdrücke zu zeigen. Thomas folgt ihnen im Laufschritt, den Blick auf den Boden geheftet und so sicher, als hätten wir auf jedem Meter einen halben Liter Farbe verkleckst. Kann man das lernen? „Ja, ist nur Übung“, sagt er. Und dann müssen Thomas, Wiseman und Fredy lachen. Was so viel bedeutet wie: Nee, du nicht, Großstadt-Depp.

Ranger haben ein zwölfmal so hohes Todes-Risiko wie ein FBI-Agent in den USA

Entdecken Ranger im Feld eine verdächtige Spur, folgen sie ihr im Eiltempo und senden ihre GPS-Koordinaten ins Kontrollzentrum. Ist sie einen oder mehrere Tage alt, kommt es vor, dass die Verfolgung selbst mehrere Tage und Nächte in Anspruch nimmt. Der Vorsprung lässt sich dennoch wettmachen, denn Wilderer haben es erst eilig, wenn die Beute im Sack ist. Bis dahin müssen sie sich auf der Suche nach dem Nashorn nur gut versteckt halten. Schon viele Nächte haben Thomas und Wiseman, als sie noch einfache Feld-Ranger waren, auf diese Weise im Busch verbracht. Mit Proviant, Wasser und einem kleinen Wurfzelt im Gepäck, geschlafen wird dann grundsätzlich abwechselnd. „Wegen der Löwen“, sagt Thomas. „Auf vier Meter sind sie beim letzten Mal an uns herangekommen. Dann musst du ihnen zeigen, dass du wach bist. Ihnen einfach groß in die Augen schauen. Dann gehen sie meistens wieder.“ Nächster guter Tipp: Duckt sich ein Löwe in den Schleichgang, mach dich groß und entsichere dein Gewehr. Und wenn er losspringt? Dann schieß. Schießen musste Thomas aber nur einmal – auf einen angreifenden Elefantenbullen. Ach ja, und auf Wilderer, die ihn mit Gewehren attackierten. Das Risiko, während der Arbeit ums Leben zu kommen, ist für einen Ranger im Kruger-Park zwölfmal so hoch wie für einen FBI-Agenten in den USA, ließen die Macherinnen des Films „Stroop“ errechnen.

Für Helikopter-Piloten wie Grant Knight, der Bluthunde und Special Ranger wie Wiseman und Fredy für Zugriffe absetzt, beginnt der Kampf jeden Tag aufs Neue

Hat sich der Feld-Ranger den Wilderern auf ein paar Kilometer genähert oder kommt er zu spät und trifft auf ein frisch erlegtes Nashorn, meldet er sich per Funk im Kontrollzentrum – und setzt eine militärisch durchchoreografierte Befehlskette in Gang: Bluthunde und Special Ranger springen in den Hubschrauber. Die Piloten legen neuerdings schusssichere Westen an, „weil die Wilderer immer besser bewaffnet und immer hemmungsloser sind“, wie Chefpilot Grant Knight uns zuruft, als wir ihn am Nachmittag interviewen wollen – eine geradezu naive Idee an jenem Vollmond-Wochenende im November, an dem allein neun Nashörner sterben und die Heli-Piloten kaum einen Fuß auf den Boden setzen.

Sobald der Heli in der Nähe der Feld-Ranger eintrifft, die den Wilderern folgen, beginnt das Finale: Die Bluthunde mit ihren GPS-Sendern am Halsband jagen los. Sie beißen nicht, sie scheuchen nur die Verbrecher aus ihren Verstecken.

...beginnt der Kampf jeden Tag aufs Neue.

Bekommt der Pilot die aufgeschreckten Wilderer zu Gesicht, gibt er den Special Rangern, die mit den Hunden ausgestiegen sind und am Boden folgen, die Position für den Zugriff durch. Dann stürmen Thomas, Wiseman und Fredy durch die Sträucher und schreien: „Stop!“ Oft eröffnen verzweifelte Wilderer darauf das Feuer – und erhalten unmittelbar Antwort aus den Gewehren der Ranger. Das hilft meist. Am Ende liegen die Nashornkiller am Boden. Gefesselt oder verwundet, je nachdem.

„Dieser Job ist in meinem Herzen“

Was liebt Thomas so an seinem Beruf, dass er ihn auch für seine Frau und die Kinder nicht aufgeben würde? Er denkt nach. Eine lange Geschichte. Schon sein Vater sei Naturschützer gewesen, sagt er. Seit Kindesbeinen ist er im Busch unterwegs. In einem Büro zu arbeiten? Unvorstellbar. „Im Busch sind deine Gedanken frei. Du bist konzentriert, du sprichst mit niemandem. Da ist nichts außer diesem ,Tss, tss, tss‘“ – er ahmt das Sirren der Wildnis nach, das ewige Konzert der Grillen und Vögel, das bei Sonnenaufgang einsetzt. „Dieser Job ist in meinem Herzen“, sagt Thomas. Mit Krieg hat das nichts zu tun – solange niemand einbricht ins Paradies.

Text: Philip Wolff
Mitarbeit: Mike Cadman