Topspeed-Test auf leeren Autobahnen – der neue Porsche 911 Turbo S ist einsame Spitze

Credit: Playboy Deutschland

Leere Fahrbahnen – so weit das Auge reicht. Der Corona-Lockdown bot die seltene Gelegenheit für einen Höchstgeschwindigkeitstest: Mit
330 km/h ist der neue Porsche 911 Turbo S der König der Straße. Eine Krönungsfahrt ohne Publikum.

Die Höchstgeschwindigkeit des neuen Porsche 911 Turbo S Cabrio beträgt 330 km/h. Dreihundertdreißig Kilometer pro Stunde, das muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen. Es entspricht in etwa der Startgeschwindigkeit, die eine A380 benötigt, um vom Boden abheben zu können. Für die meisten Turbo-Besitzer bleibt diese Zahl jedoch in der Regel ein theoretischer Wert. Denn wo soll man bitte so eine Teufelsgeschwindigkeit ausfahren? Auf einer professionellen Rennstrecke wie Hockenheim, Silverstone oder Spa? Im Gegensatz zu einer vier Kilometer langen Start- und Landebahn finden sich hier nur Geraden mit einer Länge von maximal 500 bis 1000 Metern. Das reicht in einem Serienfahrzeug höchstens, um auf 250 km/h zu kommen. Auf der legendären Nordschleife vielleicht? Das wäre in der Tat eine Möglichkeit – doch selbst auf der Döttinger Höhe, dem mit 2,6 Kilometern längsten geraden Streckenstück der Nordschleife, wird die magische 300-km/h-Grenze nur selten geknackt – und dann auch nur von professionellen Werks- und Rennfahrern.

Credit: Marc Wittkowski

Es bleibt also noch die gute alte deutsche Autobahn. Nur ist diese leider fast immer hoffnungslos überfüllt, ganz abgesehen von den vielen Geschwindigkeitsbegrenzungen, Baustellen und Sonntagsfahrern, die mit 120 km/h allein auf weiter Flur die linke Spur blockieren. Doch am heutigen Sonntag ist alles anders. Auf der A 8 von München in Richtung Salzburg sind die Straßen so leer wie vermutlich zuletzt während der Ölkrise in den 1970er-Jahren. Auf dem Irschenberg, wo es zur Hauptferienzeit schon mal zu Staus von 50 Kilometern und mehr kommen kann, befindet sich, so weit das Auge reicht, kein einziges Fahrzeug.

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Denn dieser Sonntag, an dem ich mir den neuen Porsche 911 Turbo S vom Typ 992 für eine Spritztour ausgeliehen habe, ist kein normaler Tag. Es ist Mitte April, der englische Premier Boris Johnson wurde gerade aus der Intensivstation entlassen, Markus Söder hat das Münchner Oktoberfest abgesagt, und die gesamte Bundesrepublik genauso wie große Teile der restlichen Welt befinden sich im Bann des Coronavirus. Die meisten Menschen sitzen zu Hause im Lockdown, die Grenzen zu sämtlichen Nachbarländern sind geschlossen, nur der Warenverkehr und Berufspendler dürfen derzeit ins Ausland fahren. Kurzum: Die A 8 entspricht einer gigantischen Sackgasse, die irgendwo kurz vor Salzburg und der österreichischen Grenze im Nichts endet.

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Ein paar Kilometer vor dem Chiemsee – die Uhr in der Mitte des Armaturenbretts steht bezeichnenderweise gerade auf 9.11 – zeigt das Verkehrsleitsystem endlich keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr an, und ich drücke das Pedal rechts unten bis zum Anschlag durch. Die 200 km/h schafft der neue Elfer aus dem Stand in nur 8,9 Sekunden, eine ganze Sekunde schneller als sein Vorgänger. Bis zu dieser Geschwindigkeit fühlt sich auch noch alles sehr beherrschbar an. Doch dann, jenseits der 250, scheint die Zeit langsamer zu vergehen.

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Vielleicht hat das etwas mit Einsteins Relativitätstheorie zu tun, schießt es mir durch den Kopf. Nach weiteren zehn Sekunden, die sich wie Stunden anfühlen, nähere ich mich langsam der magischen 300-km/h-Grenze. Selbst sanfte Kurven, soweit man bei fünf bis zehn Grad überhaupt von Kurven sprechen kann, erfordern meine maximale Konzentration. Die dreispurige Autobahn vor mir wird zu einem schmaler Streifen, als würde man den 1,9 Meter breiten Turbo durch einen zwei Meter breiten Tunnel fahren. Nur ein paar Zentimeter am Lenkrad nach links oder rechts können hier den sicheren Tod bedeuten.

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Beim Erreichen der 300 km/h steht die Nadel des Drehzahlmessers (das einzige verbliebene analoge Messinstrument hinter dem Lenkrad zwischen all den digitalen Anzeigen) irgendwo zwischen 6000 und 7000 Umdrehungen. Genauer traue ich mich nicht hinzusehen, denn in jeder Sekunde, die meine Augen von der Fahrbahn weg sind, legt der Wagen bei dieser Geschwindigkeit eine Strecke von knapp 100 Metern zurück. Und obwohl die Fahrgeräusche bei einem Cabrio selbst bei geschlossenem Verdeck so laut sind, dass der Motor kaum durchdringt, höre ich den 650 PS starken Boxer hinter mir kräftig wummern. Als ich die 320 km/h erreiche, sind meine Hände klatschnass, und ich spüre, wie kleine Schweißperlen an meinen Armen herunterlaufen. Dann, kurz vor dem Erreichen der Höchstgeschwindigkeit, der digitale Tacho zeigt 326 an, passiert es: Kleine Regentropfen prasseln auf die Windschutzscheibe, und sehr vorsichtig, gleichzeitig irgendwie erleichtert, nehme ich den Fuß vom Gaspedal. Ein Schriftzug erscheint in der Cockpitanzeige, der mich fragt, ob ich den „Wet“-Modus wechseln will. Eine Neuerung, die seit der neuen 992-Generation des 911er-Porsche dafür sorgt, dass man auch bei Nässe sicher unterwegs ist.

Ich brauche eine kurze Verschnaufpause und halte an einem Parkplatz direkt am Chiemsee an. Der 3,8-Liter-6-Zylinder-Boxermotor dampft und knistert unter der Karosserie. Selbst im Stand wirkt der 650 PS starke Turbo (70 PS mehr als der Vorgänger) immer noch äußerst imposant. Das liegt vor allem an dem riesigen Heckspoiler, der selbst Laien den Unterschied zwischen einem Carrera und einem Turbo verrät. Der erste 911 Turbo (Modell 930) trug übrigens den Spitznamen „Witwenmacher“. Denn als Porsche 1974 sein erstes Fahrzeug mit Turbolader präsentierte, war das, lange bevor elektronische Stabilitätsprogramme, Torque Vectoring oder Allradantrieb die Fahrdynamik von Supersportwagen auch für Laien beherrschbar machten.

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Die Kombination aus Turboloch und dem Gewicht des Motors auf der Hinterachse machten den Wagen zu einer nur schwer kontrollierbaren Heckschleuder, die selbst gestandenen Rallye-Fahrern wie Walter Röhrl Respekt einflößte. Von einem Turboloch ist heute dank des 3,8-Liter-Biturbomotors nichts mehr zu spüren, das maximale Drehmoment von 800 Newtonmetern setzt bereits bei 2500 Umdrehungen ein. Ein Turbo der ersten Generation hat sich dagegen bis 3500 wie ein VW Polo angefühlt, bis dann schlagartig der Turbolader und damit die Beschleunigung den Fahrer in den Sessel presste. Dieser Effekt in Kombination mit der hecklastigen Gewichtsverteilung konnte einem in einer nassen Kurve schnell zum Verhängnis werden oder eben eine Frau zur Witwe machen.

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Ich verlasse die Autobahn und begebe mich auf die engen Serpentinen rund um den Kochel- und Sylvensteinsee. Hier zahlen sich die aktive Hinterradlenkung sowie die schnelle Zwischenbeschleunigung von 80 auf 120 km/h in nur 1,6 Sekunden aus. Mal abgesehen von ein paar wenigen Wanderern am Straßenrand bin ich wieder quasi allein auf dem Asphalt. Auf der Brücke des Sylvensteinspeichers halte ich kurz an, es ist Zeit, die „Launch Control“ des Fahrzeugs auszutesten. Um diese zu aktivieren, drehe ich das Rädchen am Lenkrad auf den Modus „Sport Plus“ und halte die PSM-Taste so lange gedrückt, bis die Stabilitätskontrolle ausgeschaltet ist. Danach drücke ich die Bremse mit dem linken Fuß nach unten, um anschließend mit dem Gaspedal den Motor auf circa 5000 Umdrehungen zu bringen.

Credit: Marc Wittkowski

Nachdem eine Anzeige mit „Lauch Control Activated“ im Display erscheint, nehme ich den Fuß von der Bremse, und das Fahrzeug katapultiert sich selbst innerhalb von 2,8 Sekunden auf Tempo 100 – als säße man im Inneren eines aus der Pistole abgefeuerten Projektils. Das ist übrigens dieselbe Beschleunigung wie die des elektrisch angetriebenen Porsche Taycan Turbo S – und würde ich jetzt in der geschlossenen Coupé-Version des 911 Turbo S sitzen, könnte ich die 100 km/h sogar in 2,7 Sekunden erreichen. Also 0,1 Sekunden schneller als der Elektro-Porsche – eine klare Ansage der Verbrenner-Ingenieure an ihre hausinterne Stromer-Konkurrenz. Auf der Rückfahrt versuche ich noch einmal, an der Höchstgeschwindigkeit von 330 zu kratzen. Doch gegen Nachmittag ist selbst zu Corona-Zeiten der Verkehr auf der Autobahn schon wieder auf einem Level, der eine Hochgeschwindigkeitsfahrt unmöglich macht.

Bleibt festzuhalten: Mit der neuen Generation des Porsche 911 Turbo S haben die Zuffenhausener es geschafft, ein schon perfektes Auto noch perfekter zu machen. Nur beim Ausfahren der Spitzengeschwindigkeit könnten die wenigen Glücklichen, die sich dieses (knapp eine Viertelmillion) teure Geschoss zu leisten vermögen, vielleicht Probleme bekommen. Doch ich kann sie trösten: Bevor die Zukunft endgültig den Elektroautos gehört, ist – zumindest nach heutigem Stand – der aktuelle 911 Turbo S der König der Autobahn. Da kann selbst ein Porsche Taycan nicht mithalten. Dessen Höchstgeschwindigkeit wird übrigens bei 260 km/h elektronisch abgeregelt.

Credit: Marc Wittkowski

Unser Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.

Porsche 911 Turob S Cabrio (992)

Leistung

650 PS

Drehmoment

800

NM 0-100 km/h

2,8 Sekunden

Hubraum

3745 ccm

Gewicht

1710 kg

Preis

231.778 Euro