Stromschleuder – Roadtrip im neuen vollelektrischen Mercedes-Benz EQC

Credit: Tim Adler

Es muss nicht immer eine Benzinschleuder wie der Mercedes-AMG GT sein. Der neue EQC, der erste vollelektrische SUV der Marke Mercedes-Benz, soll sich auch für Langstrecken eignen. Wir sind mit dem Elektroauto von Oslo nach Berlin gefahren. Wie macht sich das SUV auf der Autobahn, an der Ladesäule und im Gelände?

Von Oslo nach Berlin sind es 1030 Kilometer. Bei üblichem Verkehr braucht man dafür 13 Stunden. Normalerweise. Doch nichts ist normal beim neuen EQC von Mercedes-Benz. Als erstes Elektro-SUV der Marke verkörpert er das Bekenntnis der Stuttgarter zur Elektromobilität. Der EQC ist das erste Modell einer komplett neuen Flotte an Elektroautos, die Mercedes in den nächsten Jahren auf den Markt bringen will. Lange haben die deutschen Premiumhersteller Tesla das Feld überlassen, aber mit Modellen wie Audis e-tron, Porsches Taycan oder eben dem EQC stehen jetzt erstmals ernst zu nehmende Konkurrenten in den Startlöchern. Diese neue Generation an Elektroautos soll sich dank größerer Reichweiten und mehr Schnellladesäulen nicht nur als City-Flitzer eignen, sondern auch zum Verreisen auf längeren Strecken. Wie gut das im Alltag wirklich funktioniert, wollen wir auf der Fahrt von Oslo nach Berlin ausprobieren.

Unser Startpunkt ist ein Parkhaus an der Osloer Markthalle mit über 100 Ladestationen. Vom Jaguar I-Pace über Tesla bis E-Golf reiht sich hier ein Stromer an den anderen. Das Parken für solche Elektroautos ist in der Innenstadt meistens kostenlos – eines der vielen Privilegien, mit denen Norwegen den Umstieg auf die Elektromobilität fördert. Einen Stromer mit Stern haben allerdings selbst die Norweger noch nicht oft gesehen.

Obwohl der Wagen sich optisch kaum von einem klassischen Mercedes-SUV wie dem GLC unterscheidet, werden wir an jeder Ampel neugierig angesprochen. Ein bärtiger Hipster namens Pouria Ruhi insistiert darauf, zumindest einmal Probe sitzen zu dürfen. Wir tun ihm den Gefallen. Wie die meisten stellt auch er als Erstes die Frage nach der Reichweite. Offiziell gibt Mercedes (laut NEFZ- Test) bis zu 471 Kilometer an, doch bereits beim Start (bei einem Ladestand von 94 Prozent) zeigt unser Auto nur eine Reichweite von 361 Kilometer an. Ein Wert, den die Fahrweise, die Beschaffenheit der Reifen, das Hochdrehen der Klimaanlage und die Außentemperatur beeinflussen.

 

 

Den ersten Ladestopp machen wir auf Anweisung des Navis in Strömstad, kurz hinter der schwedischen Grenze. Der Bordcomputer kennt alle Ladestationen und berechnet stets die effizienteste und schnellste Route inklusive Ladestopps. Strömstad bietet sich an, weil dort eine der noch seltenen Ionity-Schnellladesäulen steht – ein Joint Venture großer Hersteller wie Mercedes, BMW und Volkswagen, die Konkurrenz zu Teslas Supercharger-Netzwerk.

Rein theoretisch könnten wir hier die Batterie des EQC in 40 Minuten von 10 auf 80 Prozent laden. Uns reichen heute aber 20 Minuten (von 60 auf 90 Prozent). Einen zweiten ähnlich langen Ladevorgang legen wir auf der Höhe von Göteborg ein. 20 Minuten sind erträglich – die perfekte Zeit, um einen Kaffee zu trinken und die Toilette aufzusuchen. Auf den skandinavischen Autobahnen mit ihrem Tempolimit von 100 bis 120 km/h bleibt unser Stromverbrauch ohnehin überschaubar.

 

 

Dann ist es Zeit, die Offroad-Eigenschaften des Mercedes zu testen. Denn trotz Elektroantrieb ist der EQC ja immer noch ein SUV. Wir verlassen die Autobahn, überqueren locker einen kleinen Fluss, fahren auf einen Strand und geben Vollstrom: Die zwei Elektromotoren mit insgesamt 408 PS, die vorn und hinten auf der Achse sitzen, machen den EQC zum perfekten Driftmobil.

Im Sport-Modus bei ausgeschalteter Stabilitätskontrolle drückt hauptsächlich der hintere Motor auf die Achse und lässt den Sand um uns aufspritzen. Das fühlt sich teilweise etwas gespenstisch an, denn bis auf das Tackern der Stoßdämpfer hört man keine Motorgeräusche. Gleichzeitig sorgt das mächtige Drehmoment von 760 Newtonmetern, das bei einem Elektromotor von der ersten Millisekunde an zur Verfügung steht, für breites Dauergrinsen. Im Gegensatz zum Fahrwerk versteht die Batterie jedoch keinen Spaß: Zehn Minuten Driften im Sand kosten uns satte zehn Prozent Energie. Das macht aber nichts, in Kopenhagen wollten wir uns sowieso ein Hotel nehmen. Dort lassen wir das Auto über Nacht vollladen.

 

 

Am nächsten Tag müssen wir uns beeilen, um die Fähre nach Rostock zu bekommen. Das heißt 155 Kilometer in anderthalb Stunden zur Hauptverkehrszeit. Unsere aggressive Fahrweise mit Abbrems- und Überholmanövern lässt uns zwar die Fähre gerade so erwischen, allerdings zu einem hohen Preis: Satte 60 Prozent des Akkus haben wir für die recht kurze Strecke verbraucht.

In Deutschland angekommen, benötigen wir dringend Strom, doch die wenigen Ladestationen rund um Rostock sind laut Navi alle besetzt. Im Gegensatz zu Skandinavien steht der Ausbau des Ladesäulennetzes in Deutschland noch am Anfang. Immer wieder navigiert uns der Bordcomputer zu einer vermeintlich freien Ladestation, doch kurz bevor wir ankommen – besetzt. Hinter einem Fast-Food-Lokal werden wir endlich fündig, doch zeitgleich mit uns erreicht ein anderer Stromer den Parkplatz. Der schlecht gelaunte BMW i3 Fahrer droht uns, wir blaffen zurück. Fast schon sehe ich mich im Boxkampf um die letzten freien Ressourcen. Ein Hauch „Mad Max“-Stimmung kommt auf – bis der andere doch nachgibt. Er muss sich eine andere Station suchen, denn bei der schwachen Ladesäule brauchen wir 90 Minuten, um von 30 auf 75 Prozent zu kommen.

 

 

Auf deutschen Autobahnen können wir endlich die Grenzen des EQC ausloten. Wie bei allen Elektroflitzern gilt: unten hui, oben pfui. In 5,1 Sekunden schafft der 2,5 Tonner die 100 km/h, dafür ist bereits bei 180 km/h Schluss. Viele mag das nicht stören, ich persönlich empfinde es als frustrierend, wenn alle zwei Minuten die nächste Benzinschleuder mit 250 Sachen an mir vorbeizieht. Nach 16 Stunden Fahr- und 2,5 Stunden Ladezeit (ohne Übernachtungen sowie Fotostopps) erreichen wir Berlin.

Das wäre mit einem Verbrenner viel schneller gegangen, dafür kommt in einem Elektroauto mehr Pioniergeist auf. So ähnlich müssen sich die ersten Autofahrer gefühlt haben. Und ich war dabei, beim Beginn des Elektroauto-Zeitalters. Die Enkel, denen ich das erzählen könnte, kennen dann fossile Verbrenner vermutlich nur noch aus dem Museum. Schade eigentlich.

Unser Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.

 

Mercedes-Benz EQC 400 4Matic

Geschwindigkeit
180 km/h (abgeregelt) 

Leistung
300 KW (408 PS)

Drehmoment
760 NM

0–100 km/h
5,1 Sekunden

Reichweite (NEFZ)
445 - 471 km 

Gewicht
2495 kg

Preis
71.280 Euro