"Respekt vor dem Leben heißt, nichts wegzuschmeißen"

Credit: Playboy Deutschland

In Niederbayern züchtet Ludwig Maurer japanische Wagyus, die exklusivste Rinderrasse der Welt. Aus Achtung vor ihnen erschießt der Vorreiter der Nose-to-Tail-Bewegungs seine Tiere selbst und verwertet alles – nicht nur die Edelstücke.

Playboy: Herr Maurer, Sie sind in einem Wirtshaus aufgewachsen. Was lernt man da fürs Leben?

Ludwig Maurer: Du verlierst früh die Scham. In der Gaststube hast du keine Privatsphäre, alles ist öffentlich. Ich kannte früh die Schattenseite der Gastronomie: besoffene Gäste, lange Arbeitszeiten, kein Wochenende.

In den Ferien waren Sie oft auf dem Hof Ihrer Großeltern, den Sie heute bewirtschaften.

Da gab’s nur die Oma, den Opa, den Knecht und lauter Tiere. Keine Urlauber, kein Stress. Mein Bruder und ich haben mit acht Jahren das Erbe aufgeteilt: Er kriegt das Wirtshaus, und ich werde ein Bauer.

Sie haben trotzdem erst Koch gelernt. Der Sterne-Koch Stefan Marquard wurde Ihr großes Vorbild.

Ja, der war vor 20 Jahren ein Revolutionär: Lange Haare, Kopftuch und T-Shirt, und in der Küche lief Punkrock. Bis dato hieß Kochen ja weiße Jacke und Papierhut wie Paul Bocuse. Mit Stefan Marquard bin ich auf Veranstaltungen um die ganze Welt gereist, das war Rock ’n’ Roll. 2007 erfüllte ich mir meinen Kindheitstraum und übernahm mit meiner jetzigen Frau den Hof meiner Großeltern.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dort Wagyu-Rinder zu züchten, die exklusivste Rasse überhaupt?

Wir wollten etwas machen, was so richtig zieht. Das war brutal, weil wir vom Rinderzüchten anfangs nicht die geringste Ahnung hatten. Einer der Ersten, die an mich geglaubt haben, war Tim Mälzer, der mir ein ganzes Tier abgekauft hat.

Credit: Volker Debus/debusfoto.de

Was ist das Besondere am Wagyu?

Die starke, gleichmäßige Marmorierung. Das Fleisch ist ultrafett. Früher hat man in Deutschland mageres Rindfleisch bevorzugt, heute ist fettes Fleisch hip. Es ist zarter und schmeckt intensiver, weil Fett ein Geschmacksträger ist.

Wie aufwendig ist die Haltung?

Viele denken natürlich sofort an Fernseh-Dokus über das Wagyu- Rind aus der japanischen Region Kobe: Die Tiere hören angeblich klassische Musik, saufen Bier, werden mit Sake eingerieben und täglich massiert. Bei uns stehen die Tiere ganz normal auf der Weide wie bei anderen Bio-Bauern. Wir halten die so faul wie möglich.

Wie lange dauert die Aufzucht?

Unsere Ochsen lassen wir viereinhalb Jahre alt werden.

Warum die Kastration?

Na ja, mal angenommen, 14 junge Bullen stehen auf der Weide und daneben rindert eine junge Kuh, hat also ihren Eisprung. Das gäbe einen intergalaktischen Gangbang, die hätten sich nicht mehr unter Kontrolle. Ohne Hoden gibt es keine Probleme. Kastrierte Tiere bilden außerdem mehr weibliche Hormone, haben weniger Muskelfleisch und setzen mehr Fett an.

Sie sagen, es falle Ihnen schwer, Ihre Tiere zu schlachten.

Natürlich. Ich bin dabei, wenn sie auf die Welt kommen, ziehe sie groß. Das Töten ist hart. Und es ist wichtig, dass es hart bleibt, damit man nie den Respekt vor den Tieren verliert.

Sie erschießen die Ochsen auf der Weide. Warum?

Weil sie so keinen Stress und keine Angst haben. Mittlerweile setzen sich viele Landwirte für den weidmännischen Kugelschuss ein. Stell dir vor, du bist ein Hirsch in der Brunft. Du hast grad die Hirschkuh gevögelt, noch mal schön auf der Weide gegrast, und dann macht es plötzlich bumm. Bis du das hörst, bist du schon tot. So mach ich das auch mit meinen Tieren.

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Haben Sie insgeheim moralische Skrupel vor dem Töten?

Nein, wir Bauernkinder sind damit groß geworden. Mein Vater hat immer zehn Ferkel gekauft, sie mit Küchenabfällen hochgefüttert – und dann waren die dran. Wir wussten: Das sind Nutztiere. Ich hab mit denen gespielt, aber ich wusste, das wird mal der Leberkäs.

Die meisten Städter haben noch nie eine Schlachtung miterlebt. Sollten sie?

Wir hatten tatsächlich schon öfter entsprechende Anfragen. An sich ist es nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, was man isst. Früher lag beim Metzger oft noch ein Schweinekopf in der Auslage, heute gehst du in den Discounter in die SB-Abteilung und bekommst alles nur noch portioniert und abgepackt. Aus Pietätsgründen finde ich es aber schwierig, ein Tier zu töten, wenn Leute zuschauen. Wir bieten stattdessen Schlachtkurse an, wo wir eine bereits tote Sau komplett zerlegen und bis auf Herz und Nieren verarbeiten. Das sensibilisiert extrem.

Was sind denn die nächsten Schritte nach der Tötung?

Das Tier wird ausgeweidet, gespalten und hängt dann in Hälften oder Vierteln ab, beim Rind dauert das ein, zwei Wochen. Dadurch löst sich die Totenstarre, und die Muskeln werden wieder weich. Außerdem nimmt das Fleisch ein stärkeres Aroma an. Anschließend wird das Tier grob zerlegt und gereift, dazu gibt es verschiedene Verfahren, zum Beispiel Nass- und Trockenreifung. Interessant ist auch die Reifung mit Edelschimmel, das schmeckt ein bisschen nach Käse.

Essen Sie denn selbst das Fleisch Ihrer Rinder?

In der Regel nicht. Ich bin ein Fast-Vegetarier. Stell dir vor, du wärst Konditor und machst den ganzen Tag Schwarzwälder Kirschtorte und Himbeerkuchen. Da gehst du abends wahrscheinlich zum Kühlschrank und machst dir eine Brotzeit mit Senf und Essiggurken. Und die Metzger holen sich eben alle Quarktaschen.

Hat der Metzger nicht früher gewisse Teile für sich beansprucht?

Es gibt so Geschichten, dass die Metzger die noch warmen Stierbeutel, also die Hoden, roh gegessen und noch einen Liter Blut hinterhergetrunken haben. Das waren halt Mutproben. Einige Stücke wären aber tatsächlich oft am Knochen hängen geblieben, wenn sie der Metzger nicht mitgenommen hätte. Zum Beispiel der Nierenzapfen oder das Fledermausstück.

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Was sind Ihre persönlichen Lieblingsstücke vom Rind?

Das Tri Tip, also das sogenannte Bürgermeisterstück. Dann das Flat Iron und das Teres Major, die beide aus der Schulter geschnitten werden. Ich finde es viel zu schade, wenn das in der Wurst oder im Hundefutter landet. Es gibt keine schlechten Teile, sondern nur schlechte Köche.

Sie setzen sich für den richtigen Umgang mit Lebensmitteln ein. Was machen wir falsch?

Darüber könnten wir fünf Stunden reden, allein dass sich das Tierwohl nicht mit unserer derzeitigen Massentierhaltung verträgt. Respekt vor dem Leben heißt für mich aber auch, nichts wegzuschmeißen. Wenn wir Kuheuter auf der Karte haben, kommen manchmal Gäste und sagen uns, wir seien ja pervers. Aber wo bitte ist der Unterschied zwischen Filet und Euter? Wenn du ein befruchtetes Ei isst, findet das auch niemand pervers, obwohl du der Henne den Embryo wegnimmst und in die Pfanne haust.

Warum ekeln sich so viele Menschen vor Eutern und Innereien?

Reine Erziehungssache. Indigene Völker essen zum Beispiel Insekten, als wäre es das Normalste auf der Welt. Bei uns ist das halt nicht Teil der Kultur.